Bündnis 90/Die Grünen

in Stadt und Landkreis Ansbach

Migrant:innen kein Verlustgeschäft für den Staat

Aus einer Betrachtung von Marcel Fratzscher

27.01.24 –

 

OV Ansbach - Beim jüngsten Treffen des Ortsverbandes wurde intensiv über das Thema "Migration und Integration" debattiert. Dazu war der ehemalige MdB Uwe Kekeritz eingeladen worden, der u. a. den Wirtschaftsexperten Marcel Fratzscher zitierte. Dessen Aussagen zur einer fragwürdigen Studie werden hier - verkürzt - dargelegt:

Migrantinnen und Migranten seien eine untragbare finanzielle Belastung für Deutschland, ist das Ergebnis einer Studie der Stiftung Marktwirtschaft. Die Studie könnte die Rechtsextremen und den Populismus weiter befeuern.

Eine ehrliche Analyse dagegen zeigt, dass Migrant:innen zwar kurzfristig eine finanzielle Belastung für Deutschland bedeuten. Langfristig schaffen sie jedoch einen bedeutenden Nutzen für die Wirtschaft, ohne den viele Unternehmen nicht überleben könnten und viele Bürger:innen empfindliche Einschnitte ihres Wohlstands erleben müssten.

Die Studie der Stiftung Marktwirtschaft nimmt eine sogenannte Generationenbilanzierung vor, welche die Ausgaben des Staates – etwa für Rente, Bildung oder Kindergeld – mit den Zahlungen von Steuern und Sozialabgaben über die Lebenszeit der einzahlenden Menschen vergleicht. Nicht überraschend: Kinder und Jugendliche sind ein riesiges finanzielles "Verlustgeschäft" für den Staat, da sie nicht arbeiten und keine Steuern zahlen, aber das Bildungssystem und anderes für sie viel Geld kostet.

Erwerbstätige Erwachsene dagegen lohnen sich finanziell für den Staat, wogegen Rentnerinnen und Rentner wiederum den Staat netto für Rente und Gesundheit viel mehr Geld kosten, als sie an Steuern einbringen.

Migrantinnen und Migranten, besagt die Studie, seien für den deutschen Staat ein besonders großes Verlustgeschäft, da sie durchschnittlich weniger Einkommen haben als Deutsche und somit auch weniger Steuern zahlen.

Die Studie basiert auf einem sogenannten Nullsummendenken, also dass staatliche Ausgaben für Bildung, Rente oder Migrantinnen automatisch einen Verlust und gleich hohe Einschnitte der Leistungen für andere Menschen erfordern. So funktioniert aber keine Wirtschaft. Kein Unternehmen kann ohne Beschäftigte mit geringeren Qualifikationen und Einkommen existieren und produzieren. Als Beispiel: Eine Pflegekraft, die sich um alte und kranke Menschen kümmert, ist nach der Logik der Studie ein finanzielles Verlustgeschäft für Deutschland und würde daher besser das Land verlassen. Denn eine Pflegekraft hat ein mittleres bis geringes Einkommen und wird in ihrer Lebenszeit mehr staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, als sie selbst an Steuern und Abgaben zahlt.

(Eigene Anmerkung: Eine sinnvolle Bilanzierung könnte meines Erachtens überhaupt erst vorgenommen werden, wenn sämtliche Arbeit für das Gemeinwesen auch bezahlt würde! Also jegliche Familienarbeit und alles ehrenamtliche Wirken ...)

Die Studie begeht einen grundlegenden Denkfehler, sodass die Resultate nicht nur falsch sind, sondern die Fakten verdrehen. Der Denkfehler ist die absurde Behauptung, die Generationenbilanzierung könnte etwas Gültiges über den wirtschaftlichen oder finanziellen Verlust eines Menschen für die Wirtschaft oder die Sozialsysteme aussagen. Wenn man diese Betrachtung ernst nähme, dann wären auch 70 Prozent der Deutschen ohne Migrationsgeschichte – nämlich alle Menschen mit mittleren und geringeren Einkommen – ein solches Verlustgeschäft.

Ein Gedankenexperiment offenbart die Absurdität des Arguments: Was wäre, wenn diese 70 Prozent aus Deutschland auswandern würden? Dazu alle Kinder? Würde der deutsche Staat dann riesige Überschüsse machen?

Wer dies zu Ende denkt, dem leuchtet sofort ein, dass ein Land, in dem nur Hochvermögende leben, nicht funktionieren kann: Wer produziert die Lebensmittel, wer erbringt die Dienstleistungen für die Hochvermögenden, wer kümmert sich um die Grundversorgung und die Sicherheit? Wer verhindert das Aussterben derer, die angeblich die einzig Wertvollen für den Staat sind?

Bearbeitet von Inge Müller - Quelle:

https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-01/migration-kosten-gesellschaft-studie-stiftung-marktwirtschaft

Der Autor Marcel Fratzscher leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ist Autor der Kolumne "Verteilungsfragen" auf ZEIT ONLINE.

https://www.zeit.de/serie/fratzschers-verteilungsfragen/

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