Bündnis 90/Die Grünen

in Stadt und Landkreis Ansbach

Herbert Sirois diskutierte mit dem Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek über die Lage in den USA

und deren Auswirkungen auf den Westen

20.01.21 –

Der in Feuchtwangen lebende und an der Erlanger Friedrich-Alexander-Universität lehrende Historiker Herbert Sirois beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den transatlantischen Beziehungen und der Geschichte der USA. Er hat an der University of Maine im Nordosten der USA studiert und mehrere Jahre mit seiner Familie in den USA gelebt und gearbeitet.

Dass ein Mob von aufgebrachten Trumpisten am traditionellen Tag der Zertifizierung der Wahlmännerstimmen, dieses Jahr am 6. Januar 2021, das US-Kapitol stürmte und Chaos, Verwüstung und Tod in die Herzkammer der amerikanischen Demokratie tragen würde, hätte der Amerika-Spezialist so nicht für möglich gehalten. Zwar rechnete Sirois durchaus mit Gewaltausbrüchen in den ultrakonservativen Hochburgen der aufgerüsteten Anhänger Trumps, dass diese aber unverhohlen einen so symbolischen, ja im Gründungsmythos der USA geradezu zivilreligiös aufgeladenen Ort wie das Kapitol gewaltsam attackieren, war in seiner Radikalität überraschend. Nicht einmal die Sezessionisten von 1860 gingen so weit und bemühten sich selbst im amerikanischen Bürgerkrieg stets um den Anschein des Respekts vor den Gründungsvätern der Nation. Natürlich, so Sirois, war klar, dass nach dem schmutzigen und spaltenden Wahlkampf zwischen Trump und Biden, dem knappen Ergebnis in der Volkswahl sowie der darauffolgenden republikanischen Lüge von der gestohlenen Wahl die aufgeworfenen Gräben zwischen den Lagern tief, wahrscheinlich sogar unüberbrückbar sind. Vier Jahre Trump hatten mit der vom Präsidenten ausgehenden Verrohung der politischen Sprache und Gepflogenheiten schon vor dem Wahltag eine zutiefst gespaltene und verfeindete Gesellschaft geschaffen. Was wir am Dreikönigstag gesehen haben, war somit nicht der spontane Ausbruch einer frustrierten Fraktion, sondern der gezielte und kalkulierte, vom Präsidenten angefeuerte Angriff auf das zentrale Symbol der amerikanischen Demokratie. Es ist zu hoffen, dass sich die Trumpisten und ihr Meister hier verkalkuliert haben und der begangene Tabubruch sich in der nahen Zukunft rächen wird. Sicher ist dies jedoch nicht.

In der US-Geschichte wird der Angriff der Briten auf die Stadt Washington während des Krieges von 1812 bis heute als eine Tat des internationalen Terrorismus geführt. Wenn die Brandschatzung von Regierungsgebäuden durch britische Truppen am 24. August 1814, im Zuge eines von den USA erklärten Krieges mit England, als eine terroristische Tat bezeichnet werden kann, dann muss man den Angriff vom 6. Januar 2021 zwangsläufig als Akt des Inlandsterrorismus einstufen. Egal wie man diesen Gewaltausbruch nun benennt, die bestehende hasserfüllte Situation hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die amerikanische Politik und Gesellschaft, sondern auch für die außenpolitische Zusammenarbeit des Westens. Das Tandem Biden und Harris wird zwangsläufig mit der bestehenden Lage in ihrem Land umgehen müssen. Die oft gehörte Hoffnung auf Versöhnung hält der Erlanger Amerika-Experte allerdings für kaum umsetzbar. Innenpolitisch gespalten, gesellschaftlich durch Rassismus, radikale politische Lagerbildung und grassierende soziale Ungerechtigkeit zerrüttet, von der Corona-Pandemie gezeichnet und nach Trump mit einem Schuldenberg allein der Bundesregierung von ca. 30 Billionen US-Dollar in den faktischen Staatsbankrott manövriert, wird die neue Administration trotz einer doppelten Mehrheit in Haus und Senat erst einmal damit zu tun haben, den bestehenden Scherbenhaufen so zu konsolidieren, dass dieser nicht erdrutschartig den sozialen Zusammenhalt in den USA endgültig zerstört. Die jetzt von Joe Biden angekündigte nationale Rekonvaleszenz über weitere zwei Billionen Schulden einzuleiten, wird dabei die Probleme nicht lösen, sondern ihre Wirkung nur in die Zukunft verschieben. Des Weiteren stehen am 8. November 2022 bereits die „Midterm Elections“ an, welche die fragilen politischen Mehrheitsverhältnisse im Kongress schnell kippen könnten. Dem gespaltenen Land steht somit keine Beruhigung, sondern bald schon wieder der nächste harte Wahlkampfreigen ins Haus. Die damit entstehende Situation bringt über die innenpolitische Sachlage hinaus weitreichende internationale Konsequenzen mit sich. Die Reputation und der Einfluss der USA in der internationalen Politik sind massiv angeschlagen. Die Frage, inwieweit westliche Wertemodelle zukünftig überhaupt noch Bestand haben werden, hängt nun davon ab, ob Europa, und damit auch Deutschland, in der Lage und willens sind, die anhaltende Schwäche Washingtons auszugleichen und das entstandene Machtvakuum mit eigenen Initiativen zu füllen.

Die autokratischen Systeme in China, Russland, Iran usw. sehen bereits ihre Chancen, sich mit ihren expansiven antidemokratischen Maximen künftig durchzusetzen. Der Pekinger Spitzendiplomat Yao Shaojun drückte sich am Ende der zweijährigen deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat sehr direkt aus, als er von Christoph Heusgen auf Menschenrechtsverletzungen in seinem Land hingewiesen wurde: China sei sicher, dass der Sicherheitsrat ohne Deutschland besser arbeiten werde. An den deutschen UN-Botschafter Heusgen gerichtet, ergänzte er noch: „Gut, dass wir Sie los sind!“. In anderen Worten: Die geschwächte Stimme Washingtons scheint die Chinesen im Moment weniger zu stören als eine aufmüpfige, an Menschenrechten orientierte europäische Mittelmacht.

All diese aufgeworfenen Fragen wurden im OnlineSeminar mit dem Erlanger Historiker am Tag der Inauguration des neuen US-Präsidenten Joe Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris am 20.01.2021 in einer Online-Veranstaltung mit dem Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek diskutiert. 

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